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  • Be­schleu­nigungs­grund­satz in Haftsachen

Be­schleu­ni­gungs­grund­satz in Haftsachen

– Zwischen staatlichem Strafanspruch und dem Grundrecht auf Freiheit –

Wir, Ihre Anwälte für Strafrecht in Würzburg, informieren nachfolgend über den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen und seine Bedeutung für die Untersuchungshaft im gesamten Strafverfahren

Beschuldigte, die im Laufe eines Ermittlungsverfahrens in Untersuchungshaft gelangen, finden sich in einer Situation wieder, der sie über die gesamte Dauer des Strafverfahrens nur schwerlich wieder entkommen können. Dabei stellt die Untersuchungshaft für den Betroffenen und seine Familie eine enorme Belastung dar. Bedenkt man die Folgen für den eigenen Arbeitsplatz und das soziale Umfeld kann diese in vielen Fällen existenzbedrohend sein.
Daher ist es umso gravierender, dass Gerichte Untersuchungshaft bzw. deren Fortdauer anordnen und sich im Anschluss nicht mehr um ein zügiges Verfahren bemühen oder aus anderen Gründen nicht für einen zügigien Fortgang sorgen können. Dies zieht die Verfahren unnötigerweise in die Länge. Eine endgültige Entscheidung lässt lange Zeit auf sich warten.
Dadurch kann bei den Betroffenen der Eindruck entstehen, dass die Untersuchungshaft dazu benutzt wird, eine „Strafe“ schon vor einem rechtskräftigen Urteil teilweise bis vollständig zu vollstrecken. Die Untersuchungshaft dient aber gerade nicht einem solchen Zweck, sondern beschränkt sich auf die in §§ 112 Abs. 2, 112a StPO normierten Haftgründe.

Mit welchen Argumenten kann man einer überlangen Untersuchungshaft begegnen?

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Für den Haftbefehl und dessen Fortdauerbeschluss ist wie bei jeder staatlichen Ermessensentscheidung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Sollte die Aufrechterhaltung der Haft nicht mehr verhältnismäßig sein, so ist diese rechtswidrig und in der Konsequenz aufzuheben.
Verhältnismäßig ist eine Maßnahme insbesondere dann nicht mehr, wenn nach Abwägung der widerstreitenden Interessen diese des Betroffenen jenen des Staates überwiegen.
Konkret heißt dies, dass bei der Untersuchungshaft der staatliche Strafanspruch gegen die grundgesetzlich gewährleistete Freiheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG ins Verhältnis gesetzt und abgewogen werden muss.
Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz zu beachten. Dieser aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 EMRK besagt, dass ein Strafverfahren möglichst zügig zu führen ist. In Haftsachen besteht die Besonderheit, dass durch den einschneidenden Eingriff in die Freiheit des Betroffenen dem Beschleunigungsgrundsatz besondere Geltung zu kommt, schließlich stellt der Freiheitsentzug die „Ultima Ratio“ (letzte Mittel) des Staates dar.
Es ist zu beachten, dass der Beschleunigungsgrundsatz nach Art. 20 III, 28 Abs. 1 Satz 1 GG im gesamten Strafverfahren bis hin zu einem rechtskräftigen Urteil gilt.

Formelle Rechtskraft bedeutet, dass das Urteil nicht mehr mit den Rechtsmitteln der Berufung oder Revision angegriffen werden kann. Das heißt aber nichts anderes, als dass der Beschleunigungsgrundsatz bis hin zum letztinstanzlichen Urteil gilt.



Dies betonte auch das Bundesverfassungsgericht:

„Das Beschleunigungsgebot verliert seine Bedeutung auch nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils. Es gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten.“ (BVerfGE 46, 194, 195 m.w.N.)

Daraus folgt, dass ein grundloses in die Länge Ziehen, ganz gleich in welchem Stadium des Verfahrens, mit den Grundsätzen eines Rechtsstaats nicht mehr vereinbar ist, und die Abwägung im Einzelfall dann zugunsten der Freiheit der Person ausfallen muss.
So heißt es auch nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 2 BvR 388/09 – Beschluss vom 13. Mai 2009):
„Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Außerdem vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.> ). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft zunehmen. Zum anderen steigen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>).“

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Der staatliche Strafanspruch kann also nicht unbegrenzt über dem Anspruch des Betroffenen auf ein faires und schnelles Verfahren stehen.
Interessant ist hierbei ebenfalls der Gesichtspunkt, dass die Anforderungen an den Haftgrund mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft steigen. Sollte also ein Verfahren lange andauern, so kann es sein, dass der Haftgrund unter Berücksichtigung der Dauer die Untersuchungshaft nicht mehr rechtfertigt. Verfahren dürfen also nicht grundlos lange dauern. Daraus folgt, dass zusätzlich zum ursprünglichen Haftgrund also Umstände vorliegen müssen, die den langen Freiheitsentzug noch tragen.
So zum Beispiel, weil der Einzelfall komplizierte Rechtsfragen betrifft, viele Zeugen gehört werden müssen, die Ermittlungen erschwerten Bedingungen ausgesetzt sind oder das zuständige Gericht schlichtweg überlastet ist. Bei der Überlastung der Gerichte ist aber zu beachten, dass Haftsachen grundsätzlich Vorrang vor anderen Verfahren haben.
Dazu aus der Rechtsprechung des OLG Hamm vom 13.06.2013:
„Das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untersuchungsgefangenen verstärkt sich dabei gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (BVerfG, NJW 2006, 652; StV 2007, 644; StV 2008, 421). Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer abzustellen, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dabei kann selbst bei schwersten Tatvorwürfen die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes die Aufhebung des Haftbefehls erfordern (BVerfG, StV 2006, 73; StV 2007, 644) Diese Grundsätze bedingen eine auf den Einzelfall bezogene Analyse des Verfahrensablaufs, wobei Untersuchungshaftverfahren mit der größtmöglichen Beschleunigung durchzuführen sind und grundsätzlich Vorrang vor der Erledigung anderer Strafverfahren haben (BVerfG, StV 2006, 73; Senat, a.a.O.; OLG Hamm, StraFo 2001, 32 = wistra 2001, 35; StV 2006, 481).“ (OLG Hamm vom 13.06.2013, 3 Ws 148+161/13)



Sollten solche Besonderheiten also nicht vorliegen, so muss von einer grundlosen Verfahrensverzögerung ausgegangen werden. Ein Blick in die Ermittlungsakte sollte dies Erkennbar machen.
Im Hinblick auf die überragende Stellung der persönlichen Freiheit, überwiegt diese dann dem Strafanspruch, was zu Konsequenz hat, dass der Betroffene, ggf. gegen geeignete Auflagen, frei zu lassen ist.
Selbst die schwere des Delikts oder anderweitige Besonderheiten des Einzelfalles können ab einem gewissen Grad die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht mehr rechtfertigen.

„Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden.“ (BVerfG 2 BvR 388/09 – Beschluss vom 13. Mai 2009)

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So hat das OLG Köln unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Betroffenen aus der Untersuchungshaft entlassen, obwohl es den dringenden Tatverdacht (des gemeinschaftlichen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) und die Fluchtgefahr im Rechtsmittelverfahren weiterhin als gegeben sieht.

„Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GGgewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRKausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend hierzu BVerfGE, Beschluss vom 29. Dezember 2005 – 2 BvR 2057/05 –, zitiert nach juris, Rz. 83).“ (OLG Köln, Beschl. v. 29.02.2016 – 2 Ws 60/16)

Das Oberlandesgericht unterstreicht damit die rechtsstaatliche Wichtigkeit eines zügigen Verfahrensgangs in Haftsachen.



Wann sollte also der Betroffene im eigenen Strafverfahren besonders aufmerksam werden und eine Haftbeschwerde wegen Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes zusammen mit seiner Verteidigung in Betracht ziehen?

Zum einen sollte man darauf achten, ob bekanntermaßen andere Verfahren, die nicht Haftsachen sind, vor dem zuständigen Gericht geführt werden.
Ebenfalls könnte es sich im konkreten Strafverfahren um einen einfach gelagerten Fall handeln (u.a. wenig Zeugen, wenig Beweismittel, keine komplizierten Ermittlungen, keine Masse an Delikten).
Sollte nach Einschätzung der Verteidigung die Prognose bestehen, dass eine lange Freiheitsstrafe nicht bzw. sogar nur eine Geldstrafe zu erwarten ist und die Untersuchungshaft dagegen verhältnismäßig lange dauern, könnte sich eine Haftbeschwerde lohnen.
Weiteres Indiz für eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes kann eine späte Terminierung zur Berufungsverhandlung sein.
Es sollte auch geprüft werden, ob die Akte etwaige unnötige Verzögerungen bei Zustellungen, Verfügungen und sonstige Entscheidungen des Gerichts oder der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft erkennen lässt.

Wann eine Abwägung zugunsten des Beschleunigungsgebots zur Freilassung des Betroffenen führen kann, bleibt Frage des Einzelfalles und ist vom jeweiligen Gericht ausführlich zu prüfen.
Vor der Haftbeschwerde aus diesem Gesichtspunkt sollte also nicht zurückgeschreckt werden, um die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden daran zu erinnern, dass eine zügige Erledigung von Haftsachen nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für den Rechtsstaat eine hohe Bedeutung hat.

Thomas Steur

Rechtsanwalt | Strafverteidiger