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Telemedizin – Haftungsrisiken der Fernbehandlung

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der „Telemedizin“ als voranschreitende Behandlungsmethode. Er soll Patienten und Ärzten das Thema Telemedizin näherbringen und über die Chancen und Haftungsgefahren bei telemedizinischer Behandlung informieren.

Wir befinden uns längst in einer Zeit, in der Einkäufe, Meetings und Bankgeschäfte täglich und zunehmend über elektronische Endgeräte sowie das Internet erledigt werden. Doch auch vor der Medizin macht dieser Wandel keinen Halt.

Gemäß dem Motto “move the information, not the doctor” muss durch die Telemedizin für die Behandlung weder der Patient noch der Arzt bewegt werden. Lediglich die für eine Behandlung wichtigen Daten werden übertragen.

Die Telemedizin verspricht, einen Großteil der Probleme in der modernen Medizinversorgung lösen zu können. Durch die Verwendung von Videokonferenzen, Videochats, medizinische Apps und ähnlichen Kommunikationsmedien hat ein Patient heute theoretisch die Möglichkeit, an nahezu jedem Ort der Welt einen Spezialisten für sein gesundheitliches Problem zu sprechen und sich von diesem sogar behandeln zu lassen. Gerade für ländliche Gebiete, in denen eine flächendeckende medizinische Versorgung bisher kaum möglich war, trägt die Telemedizin ein großes Potential.

Gleichzeitig können hierdurch Kosten und Zeitaufwand für Ärzte, Krankenhäuser und Versicherer verringert werden.

Ein weiterer nicht zu verachtender Vorteil der telemedizinischen Behandlung ist die Entlastung der Arztpraxen und der Patienten. Wenn weniger Menschen die Arztpraxis für eine persönliche Behandlung aufsuchen, spart sich der Patient und der Arzt nicht nur Zeit, es verringert auch das Ansteckungsrisiko im Bezug auf andere Patienten im Warteraum.

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Hintergrund

Bereits 1905 sorgte das erste EKG dafür, dass Herzströme über eine Distanz von 1,5 km telegraphisch übertragen werden konnten. Das EKG ist heute in der Praxis nicht mehr wegzudenken. Allerdings ist die Teleradiographie immer noch Teil einer lebhaften Diskussion.

Als 1910 Syphilisarzneimittel per Post versandt wurden, um den Patienten eine peinliche Untersuchung zu ersparen, sah sich die Reichsregierung zu damaliger Zeit veranlasst, gesetzliche Regulierungen einzuführen, die verhinderten, dass die Arzneimittel nicht fälschlich abgegeben werden.

Damit war 1918 das erste Verbot telemedizinischer Behandlung geboren, die sogenannte “Verordnung zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten”. Die Verordnung und das später folgende, gleichnamige Gesetz verbot es, Geschlechtskrankheiten anders als auf dem Wege eigener Wahrnehmung zu behandeln.

Bis zu jüngster Zeit hielt sich ein Verbot ausschließlicher Fernbehandlung in der Bundesrepublik aufrecht. Zuletzt in Form des § 7 Abs. 4 MBO-Ä a.F. und einiger anderer Vorschriften, die das Verbot bestätigen, beispielsweise aus dem Arzneimittelgesetz (AMG) und im Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens (HWG).

Trotz der beachtlichen Vorteile hat die Telematik deshalb in der deutschen Medizinversorgung noch immer nicht ihr volles Potential ausgeschöpft. Grund hierfür ist mitunter das Fehlen geeigneter Regularien und unklarer Haftungsfragen. Ohne klar formulierte Regelungen begibt sich der telemedizinisch behandelnde Arzt schnell auf “haftungsrechtliches Glatteis”. Ein Risiko, das verständlicherweise nicht jeder Mediziner bereit ist einzugehen.



Die Fernbehandlung an sich schafft damit neben ihren Möglichkeiten eine Reihe von Problemen, die den Patienten in gesundheitliche Gefahr bringen können und die behandelnden Ärzte in die strafrechtliche und zivilrechtliche Haftung.

Die Haftungsrisiken für Ärzte im Bereich der Telematik sind dabei zahlreich. Der BGH stellte beispielsweise in einem Fall von 1975 eine umfassende Garantenpflicht bei telefonischer Beratung und Verschreibung von Rezepten auf.

Haftung des behandelnden Arztes

Die Änderung der Berufsordnung durch den 121. deutschen Ärztetag im Mai 2018 öffnete das Tor für die auch ausschließliche Behandlung per Telekommunikationsmedien.

Die geänderte Vorschrift des § 7 Abs. 4 MBO-Ä n.F. ist sehr offen formuliert. Diese bürdet letztlich den Ärzten die Verantwortung für den richtigen und einzelfallgerechten Einsatz der Telemedizin auf. Damit ergeben sich naturgemäß haftungsrechtliche Risiken für den behandelnden Arzt.

Es zeigt sich, dass sich bereits Probleme mit dem Wortlaut und dem Verständnis der geänderten Regelung des § 7 Abs. 4 MBO-Ä ergeben.

So wurde in Satz 1 klarstellend vorangestellt, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt behandeln. Die Synopse zur Gesetzesänderung erläutert die Bedeutung dahingehend, dass die persönliche Behandlung weiterhin “Goldstandard” (siehe dazu unseren Artikel zur Arzthaftung) sein solle. Der persönliche Kontakt zwischen Patient und Arzt solle auch im digitalen Zeitalter weiterhin im Vordergrund stehen.

Welche Auswirkungen dieser Satz nun aber für einen Arzt haftungsrechtliche zu bedeuten hat, der auf persönlichen Kontakt verzichtet, ist noch weitgehend ungeklärt.

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Die ausschließliche Beratung ist ausweislich des Satzes 3 des § 7 MBO-Ä n. F. dem Einzelfall vorbehalten. Dabei stellt sich die haftungsrechtlich spannende Frage, was denn “ärztlich vertretbar” ist und was unter “ärztlich erforderlicher Sorgfalt” zu verstehen ist, wenn der Goldstandard weiterhin die persönliche Behandlung darstellen soll.

Hierüber schweigt die Gesetzesänderung der Bundesärztekammer. An dieser Stelle ist anzumerken, dass es wohl zu einem Umdenken in der Rechtsprechung kommen wird, was dem ärztlichen Standard entspricht und was nicht. So sah das OLG Frankfurt bspw. Vor nicht allzu langer Zeit noch eine Behandlung, bei der sich der Arzt und der Patient nicht mindestens einmal persönlich begegnet sind, als potentiell gesundheitsgefährdend an. Eine solche Auffassung kann sich freilich nicht mehr halten.

Der behandelnde Arzt muss sich bei der Überlegung, eine Fernbehandlung durchzuführen zunächst drei Fragen stellen:

  1. Kann eine (ausschließliche) Fernbehandlung überhaupt durchgeführt werden, ohne damit automatisch den Behandlungsstandard zu unterschreiten? Liegt beispielsweise ein Krankheitsbild vor, für das eine persönliche Untersuchung unumgänglich ist, so scheidet eine Fernbehandlung von vornherein aus.


  1. Danach ist durch den Arzt festzustellen, welche Anforderungen an die Behandlung zu erfüllen sind, um die Fernbehandlung mit der erforderlichen ärztlichen Sorgfalt durchführen zu können. Ist dies nicht möglich, muss der Arzt den Patienten hierüber informieren.
  2. In einem letzten Schritt ist zu prüfen, ob sich die Fernbehandlung in dem konkreten Szenario nicht schon zur Standardmethode entwickelt hat, so dass ein Verzicht auf diese bereits eine Standardunterschreitung bedeuten würde. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn es telemedizinische Fachzentren für ein bestimmtes Gebiet gibt und der Arzt trotz Indikation darauf verzichtet, dieses Fachzentrum zu konsultieren.

Bei der Entscheidung der ärztlichen Vertretbarkeit einer Fernbehandlung (1.) kann wohl nach wie vor auf die objektiven Kriterien zum Facharztstandard zurückgegriffen werden. Demnach ist nach dem Maßstab eines durchschnittlichen Facharztes anhand der ihm typisierend zur Verfügung stehenden Kenntnisse und Fähigkeiten zu entscheiden, ob ein persönlicher (physischer) Arzt-Patienten-Kontakt erforderlich ist und unter welchen Umständen darauf verzichtet werden kann. Dabei hat der Arzt insbesondere die bei einer Fernbehandlung stets auftretenden sensorischen Defizite zu bedenken und durch vorausschauendes Handeln zu kompensieren.

Kommt der Arzt zu dem Schluss, dass eine vom Patienten ggf. ausdrücklich gewünschte Fernbehandlung nicht unter Wahrung des Facharztstandards vorgenommen werden kann (2.), so steht die Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung gemäß § 630a Abs. 2 BGB offen. Der Patient kann also nach ausführlicher Aufklärung und Information abweichend vom Facharztstandard behandelt werden, sofern dieser dies wünscht. Dies ist Ausdruck der Patientenautonomie. Dabei ist durch den Arzt stets zu berücksichtigen, dass der Patient regelmäßig die Gefährlichkeit seiner Erkrankung mangels medizinischer Kenntnisse selbst nicht ausreichend einschätzen kann. Über mögliche Risiken und alternative Möglichkeiten ist daher ausführlich zu belehren.

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Es bleibt festzuhalten, dass insbesondere die ausschließliche Fernbehandlung für die Ärzte und Patienten in Deutschland noch „Neuland“ darstellt. Dies birgt bedauerlicherweise eine unsagbare Menge an Haftungsrisiken für den behandelnden Arzt und die Gefahr der Falschbehandlung für den Patienten.

Viele Fälle lassen sich bereits jetzt anhand der vorhandenen Haftungsgrundsätze sachgerecht lösen. Gerade auf dem Gebiet der ausschließlichen Fernbehandlung werden in geraumer Zeit viele neuartige Haftungsfragen zu beantworten sein.

Sollten Sie selbst bei der Einschätzung einer konkreten telemedizinischen Behandlungsmethode Probleme haben oder kam es im Rahmen einer solchen Behandlung zu Komplikationen, so beraten wir Sie gerne über die juristischen Fragen in diesem Zusammenhang.

 

Thomas Steur

Rechtsanwalt | Strafverteidiger